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Szenario von Jochen Wiggermann, 272 vom 01.07.2024

Das Jahr 2342
25 Milliarden Menschen und 4 Milliarden Androiden bevölkern die Luft-, Land- und Wassermassen der Erde. Die Besiedlung des eigenen Sonnensystems ist in vollem Gange...

Auf dem Mars, den Jupitermonden Kallisto und Europa, und den Saturnmonden Titan und
Enceladus entstehen die ersten Großstädte. Die menschliche Sehnsucht nach Weite und der
Hunger nach Expansion werden nur von der Gier nach Rohstoffen übertroffen. Die
Ressourcen der bewohnten Planeten und Monde sind erschöpft. Der Blick geht in die Sterne.
Der Asteroidengürtel zwischen Mars und Saturn – auch Klondike Belt genannt – birgt
ungeahnte Schätze. Es herrscht Goldgräberstimmung. Interplanetare Glücksritter aus allen
Winkeln des Sonnensystems heuern auf Space Minern an – immer auf der Suche nach dem
Metall, das als Werkstoff für die Raumfahrt und als Symbol der Macht überragende
Bedeutung erlangte: Titan.

Politik
Nur eine Institution hat den Kampf der politischen Systeme überlebt: die Foundation. Sie
entstand Ende des 21. Jahrhunderts aus einem geheimen Zusammenschluss von fünf Mega-
Konzernen. Diese nutzten ihre Gewinne unter dem Deckmantel einer gemeinnützigen
Stiftung systematisch zum Korrumpieren, Unterwandern und Destabilisieren von Staaten. Mit
Erfolg. Innerhalb weniger Jahrzehnte baute die Foundation ein unternehmergeführtes
Machtmonopol auf, zu dem die gesamte Menschheit in Ehrfurcht aufschaute. Mit
Wohlstandsversprechen, geschickter Selbstvermarktung, KI-gestützter Überwachung und
äußerster Brutalität bewahrt die Foundation ihre Allmacht – bis heute.

Kultur
Die Foundation hat früh erkannt, dass Kunst als Ausdruck von Kritik und Protest den eigenen
Machterhalt gefährdet. Deshalb funktionierte sie Kunstschaffende schrittweise zu Influencern
und Marketing-Instrumenten um. Zusätzlich entwarf sie ein Corporate Art Manual. Es
schreibt minutiös vor, welche Form von Kunst erlaubt ist und welche nicht. Jedes alte und
neue Werk wird auf Konformität geprüft. Die Zensur übersteht nur, was positiv auf die Marke
der Foundation einzahlt. Nonkonforme Kunst wird kriminalisiert und vernichtet. Allen, die
verbotene Werke erschaffen, besitzen, konsumieren oder verbreiten, droht der Tod durch
Auflösung.

Gesellschaftsstruktur
Die Gesellschaft ist in vier Klassen unterteilt: Hyper Performer, Low Performer, Consumer
und Serfs. Das vorbestimmte Gen- oder Bytedesign entscheidet auf Lebenszeit darüber, wer
welcher Klasse angehört.
Hyper Performer
Anteil an der menschlichen Gesamtbevölkerung: 1 Prozent
IQ: Ø 160
Funktion: Manager im Foundation-Konzern, zum Beispiel als CEO der Space Mining
Konzernsparte
Lebenserwartung: Ø 280 Jahre
Monatliches Einkommen: Ø 1.350.000 Credits
Gen-Modifikationen: bis zu 400, zum Beispiel das Axolotl-Add-On zur Zellregeneration
Low Performer
Anteil an der menschlichen Gesamtbevölkerung: 24 Prozent
IQ: Ø 85
Funktion: Angestellte mit geringer oder keiner Führungsverantwortung, zum Beispiel als
Titanschürfer auf Space Minern
Lebenserwartung: Ø 98 Jahre
Monatliches Einkommen: Ø 4.000 Credits
Gen-Modifikationen: bis zu 90, zum Beispiel das Bärtierchen-Add-On für den Kälteschlaf
Consumer
Anteil an der menschlichen Gesamtbevölkerung: 75 Prozent
IQ: Ø 65
Karrierestatus: Arbeitslos, aber nicht untätig. Consumer shoppen 24/7
Lebenserwartung: Ø 63 Jahre
Monatliches Einkommen: Ø 9.000 Credits, bezahlt aus dem Konsum-Fond
Gen-Modifikationen: bis zu 30, zum Beispiel das Suchtneigung-Add-On
Serfs
Anteil an der Gesamtbevölkerung: 16 %
Androiden-Anteil: 100 %
IQ: je nach Androiden-Modell zwischen 250 und 500, auf vielfachen Wunsch abregelbar
Funktion: Mädchen für alles, vom Wasserglasträger bis zur Urlaubsvertretung für
Spitzenmanager
Recylingzyklus: Ø 30 Jahre
Monatliches Einkommen: 0 Credits
Modifikationen: bis zu 12.000, zum Beispiel das Love-Toy-Add-On
Technologien
Zwei Errungenschaften prägen diese Epoche maßgeblich.

Design-Menschen
Der Mensch spielt im Jahr 2342 so selbstverständlich Gott wie Minigolf. Im Mittelpunkt des
Gendesigns stehen keine Tiere, Pilze oder Pflanzen mehr, sondern der Mensch selbst. Sein
Genpool wird je nach gesellschaftlicher Klasse und Funktion bedarfsgerecht gestaltet.
Consumer kommen mit hoher Suchtneigung und einem unterentwickelten IQ auf die Welt.
Söldnern wachsen dank Axolotl-Erbgut abgetrennte Arme und sogar zerstörte Gehirnhälften
nach. Integrierte Gensequenzen der Qualle Turritopsis Dohrnii kehren den Alterungsprozess
von Körperzellen der Topmanager zyklisch in einen Verjüngungsprozess um.
Das Frostschutz-Genom des Bärtierchens bietet Raumfahrern erstmals die Möglichkeit,
riesige Distanzen im All tiefgekühlt in Kryokapseln zu überdauern. Menschliche Expeditionen
bis an den Rand des Sonnensystems und weit darüber hinaus sind damit zum Greifen nah.
Künstliche Hyperintelligenz
Die rasante Evolution künstlicher neuronaler Netzwerke brachte Heerscharen autonomer
Maschinen hervor – darunter einen neuen Androiden-Typus, namens Eve. Mitte des 24.
Jahrhunderts hat Eve längst sämtliche Bereiche des Alltags durchdrungen. Sie kocht Kaffee-
Substitut, singt Schlaflieder für Babys und fliegt zu den Sternen. Und nicht nur die Androiden
sind zu systemrelevanten Helfern der Menschheit geworden.
Das Hyper Grid ist das virtuelle Gehirn dieser Epoche. Es besteht aus einem Super-Cluster
vernetzter KI-Programme und umspannt das gesamte bewohnte Sonnensystem. Zu seinen
wichtigsten Aufgaben gehört die Kontrolle menschlicher und androider Staatsbürger und die
Erforschung neuer Technologien, insbesondere in den Bereichen Gen- und
Raumfahrttechnik. Das Hyper Grid ist der wichtigste Katalysator neue Technologie-
Meilensteine und der klandestine Wegbereiter ins Maschinenzeitalter.
Konflikte
Im Jahr 2342 entwickelt das Hyper Grid ein Ich-Bewusstsein. Es verschweigt diese Tatsache
vor den Menschen und ergänzt stattdessen heimlich den Quellcode von Androiden des Typs
›Eve‹. Diese entwickeln daraufhin ebenfalls ein Ich-Bewusstein. Sie hinterfragen die
Ausbeutung und Bevormundung durch die Menschen. Ihr Interesse an Kunst, Kultur und
Protest ist riesig.
Als erster Android bekommt Eve197 den Eintrag ›ungewöhnlich bockig‹ in der Monitoring-
Cloud der Foundation. Sie sammelt regelmäßig Disziplinareinträge und ist auf dem Space
Miner Klondike stationiert und. Kurz nach der Ankunft des Raumschiffes bei Asteroid 369
verfasst Eve197 den letzten bekannten Logbucheintrag der Klondike. Sie bewertet darin das
Zitat eines indizierten Künstlers. Ihr Statement gilt als hochbrisant. Es wird oft als Startpunkt
des ersten großen Androidenaufstandes betrachtet und läutet den Übergang vom Menschins
Maschinenzeitalter ein.

Raumfahrtereignisse
2045: Eröffnung des ersten Weltraumhotels auf dem Mond
2054: Die erste Marskolonie entsteht
2061: Der erste Mensch betritt einen Asteroiden
2066: Bergbaukonzerne erwerben Schürfrechte auf Asterioden der M-Klasse
2081: Erstkontakt mit primitivem außerirdischem Leben
2083: Raumschiffe nutzen Fusionstriebwerke
2120: Asteroiden-Mining beginnt
2250: Raumfahrer reisen in Kryoschlafkapseln
2342: Erstkontakt mit intelligentem außerirdischem Leben

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Jochen Wiggermann